Systemtheorie: Wenn Beratung Unternehmen helfen wollen

Angesichts der Herausforderungen in der Zeitenwende tragen Beratungen eine besondere Verantwortung: Sie haben zu sorgen, dass Unternehmen ihren Anschluss an die Gesellschaft nicht verlieren, fordern die Systemtheoretikerin Gitta Peyn und der Sozialwissenschaftler Kamuran Sezer. Ein Gastbeitrag über gute und schlechte Beratung.

Gitta Peyn

Gitta Peyn

Gitta Peyn, 1965, Systemtheoretikerin, Kybernetikerin, Co-Entwicklerin des universellen Referenzsystems FORMWELT und der Erkenntnislogik WELTFORM, Gründungsmitglied des wissenschaftlichen Teams des Formwelten-Instituts und der Formwelt-Academy, Beratendes Mitglied der ISET Education Foundation, India und Director of International Affairs des Solidarity International Trust, Kenia.
Kein Organisationsberater will, dass Organisationen soziale Systeme mit eigener Autopoiese sind – außer natürlich, er hat das Interesse, die Organisation schwach, konfus und von sich abhängig zu halten oder ihr dabei zu helfen, sich zu zerstören.
 
Es verhält sich auch kein Berater so. Im Gegenteil.
 
Doch der Reihe nach: Die Systemtheorie ist eine komplexe Disziplin in der Wissenschaft. Sie ist zwar allgemein akzeptiert und findet auf unterschiedliche Weise Anwendung, so etwa in der Managementforschung ebenso wie im Ingenieurswesen. Für Normalsterbliche ist sie gerade deswegen schwer zugänglich. Ein Grund dafür ist der eigene Wortschatz. Die Systemtheorie hat Fachbegriffe entwickelt. Sie sind wie die tragenden Wände eines Gebäudes, ohne sie es einstürzen würde.

Autopoiese heißt undurchdringliche Grenze

Zu den zentralen Fachbegriffen gehört eben die “Autopoiese”. Vereinfacht ausgedrückt, bezeichnet sie, dass sie ihre eigenen Elemente reproduziert, darüber eine undurchdringliche Grenze zu ihrer Umwelt aufbaut und sich in Folge selbst erschafft und sich selbst erhält. Kommunikation kennzeichnet das übergeordnete System Gesellschaft genauso wie ihre Organisationen.
 
In der Systemtheorie sagt man „Kommunikation ist Element aller Kommunikationssysteme“. Einfaches Beispiel: die Polizei. Passiertein Unfall, existiert die Übereinkunft, die Polizei zu rufen. Die Betroffenen wählen die 112 und geben durch, wo der Unfall stattgefunden hat und ob weitere Hilfe erforderlich ist. Auf diese Mitteilung hin rückt die Polizei aus. Weil sie kommunizieren kann, kann die Polizei ihrer Aufgabe nachgehen. Sie ist direkt mit Gesellschaft verbunden.

Wenn Unternehmen mit Veränderung konfrontiert sind

Nicht anders funktionieren Unternehmen. Sie produzieren und distribuieren Waren oder erbringen Dienstleistungen, wodurch sie zur Versorgung der Gesellschaft beitragen. Sie kommunizieren mit ihren Kunden, Lieferanten, Politikern, anderen Organisationen wie beispielsweise dem Finanzamt. Und sie kommunizieren über Geld, wenn beispielsweise ihre Aktien an der Börse gehandelt werden oder natürlich ihre Kunden die bestellten Waren bezahlen.
 
Aber was, wenn Unternehmen mit Veränderungen konfrontiert sind? Etwa mit Fachkräftemangel, neuen Mitbewerbern oder neuen Technologien, wodurch Selbsterhaltung erschwert wird? Eine Lösung ist, Organisationsberater zu beauftragen.

Zwischen stark und schwach spezialisieren

Alle guten Organisationsberater kennen ihre erste und oberste Aufgabe, wenn auch vielleicht mit anderen Wörtern oder nur intuitiv: Dafür zu sorgen, dass sich Organisationen informationell weder zu stark spezialisieren noch sie sich informationell zu schwach spezialisieren. Der erste Fall birgt das Risiko, den Anschluss an Märkte und Gesellschaft zu verlieren, im zweiten Fall bricht die Organisation wegen fehlender eigener Sprache zusammen. Die Mitarbeitenden können sich über ihre eigenen Daten nicht einigen.
 
Ein Beispiel für zu starke informationelle Spezialisierung ist aktuell die Debatte um E-Fuels. Manche Interessengruppen, darunter Unternehmen, möchten am Verbrennungsmotor festhalten. Sie verpassen den Anschluss an den globalen Trend der e-Mobilität. Im zweiten Fall mögen die Organisationen anschlussfähig bleiben, aber sie verlieren an Relevanz. Der Strukturwandel in Deutschland brachte genug Beispiele hervor: Stahlhersteller, einst mächtig und groß in der Beschäftigtenzahl, sind in der gesellschaftlichen Debatte nachranging, wenn es um die Zukunft der Wirtschaft in Deutschland geht.

Kommunikation kommuniziert!

Wollen Organisationen überleben, muss gesellschaftliche Kommunikation direkt in sie hineinreichen können. Und umgekehrt muss organisationelle Kommunikation direkt in Gesellschaft hineinreichen können. Folglichwill kein Berater oder Manager, dass Organisationen zu geschlossenen, zu autopoietischen Systemen werden.Denn so machen sie den Anschluss zwischen Gesellschaft und Organisationen, und umgekehrt, unmöglich.
 
Würde das passieren, wäre die Organisation nicht mehr Teil der Autopoiese von Gesellschaft. Heißt: Sie leistet keinen Wertbeitrag für die Selbsterhaltung der Gesellschaft. Und umgekehrt könnten Organisationen nicht mehr an gesellschaftlicher Autopoiesis partizipieren. Heißt: sie verlieren an Bedeutung.
 
Gute Berater wissen das. Und daran lässt sich wirksame Beratung messen. (futureorg/signals)
Wofür steht signals.observer?

Der Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Entsprechend groß sind die Auswirkungen, die von den vielfältigen Veränderungen für ihn ausgehen. Das Magazin “signals.observer” erklärt diese Veränderungen, lässt Expert:innen zu Wort kommen und zeigt auf, wie andere Unternehmen dieselben Herausforderungen für sich lösen.

Dabei ist es uns wichtig, Entscheider:innen im Mittelstand eine Bühne zu bieten, auf der Ihre Anliegen, Belange und Interessen vermittelt werden.

Wir sind mittelstandsfreundlich. Innovationen machen uns neugierig. Und in Technologien sehen wir die Lösung.

Herausgeber ist das futureorg Institut – Forschung und Kommunikation für KMU mit Sitz in Dortmund/NRW.

"Wir erzählen Mittelstand"
Das Magazin für Entscheider:innen