Rezension: Reise nach Jerusalem

Frieder C. Löhrer war Geschäftsführer von mehreren mittelständischen Unternehmen. Nun hat er ein Buch über seine Reise nach Jerusalem veröffentlicht, auf eintausend Seiten. “Wer hat heute Zeit, dein Buch zu lesen?”, fragte ich ihn. Es gäbe drei Wege, erzählte er mir im Gespräch.

“Es gibt drei Wege, mein Buch zu lesen”, erklärte Frieder C. Löhrer im Gespräch mit mir. Der einstige Geschäftsführer mehrerer mittelständischer Unternehmen hat ein Buch geschrieben. Darin erzählt er seine Reise nach Jerusalem. Auf eintausend Seiten. Aber auf zwei Bände verteilt. “Es gibt tatsächlich ein Exemplar, das diese eintausend Seiten in einen Band fasst”, verrät er noch.
 
Der Anstoß dieses Gesprächs war eine Frage, die in meinem Kopf mehrere Runden drehte. Wer eintausend Seiten schreibt, der hat nicht nur viel Arbeit investiert. Er hat Kraft in dieses Projekt gesteckt. Er hat dafür Leidenschaft entwickelt, wenn sie denn nicht schon vorher existierte. Meine Sorge war, dass ich ihn mit meiner Frage kränke. Die Frage ließ mich trotzdem nicht in Ruhe:
 
Wer hat denn heute Zeit, um ein Buch zu lesen, das eintausend Seiten zählt?

40 Stunden Lesezeit

Ich lese sehr gerne Bücher. Seitdem meine beiden Jungs größer, damit eigene Interessen entwickelten, auch mit der Absicht, sich von ihrem Vater abzugrenzen, lese ich mehr Bücher. Damit ich die knappe Ressource Zeit genau einplanen kann, habe ich mir angewöhnt, zu messen, wie lange ich für eine Seite benötige. Das Ergebnis multipliziere ich mit der Seitenzahl des Buchs.
 
Dieselbe Rechnung machte ich auch mit Frieders Buch:
 
Ich benötigte 144 Sekunden für eine Seite. Frieders Buch zählt genau 1.005 Seiten, ohne Verzeichnisse und Quellenangaben. Dies ergibt 144.720 Sekunden. Oder 2.412 Minuten. Oder über 40 Stunden, wenn ich es denn am Stück lesen würde.
Personenvorstellung:
 
Frieder C. Löhrer ist 1956 in Aachen geboren. Der leidenschaftliche Komponist und Familienmensch studierte Maschinenbau. Ab 1998 war er Geschäftsführer von mehreren mittelständischen Unternehmen, etwa beim Brillenhersteller Rodenstock, Möbelhersteller Rolf Benz in Nagold und zuletzt beim Elektrogerätehersteller Loewe. Aktuell begleitet er das futureorg Institut – Forschung und Kommunikation für KMU als Beirat und Mentor.
 
2020 unternahm er zu Fuß eine Reise von Aachen nach Jerusalem. Seine Erfahrungen und Erlebnisse in diesen 181 Tagen fasste er in seinem Buch “Reise nach Jerusalem” zusammen.
 
Mehr zu seiner Person: https://www.frieder-loehrer.de/

Ich konnte nicht anders. Also eröffnete ich Frieder das Thema, in dem ich ihn fragte, ob er denn sein Buch einem Verlag angeboten habe. Wohl wissend, dass kein Verlag sich für ein seiten-gewaltiges Werk begeistert haben könnte. Allein aus ökonomischen Gründen.

Ökonomischer Irrsinn

Ignoriert man die Druckkosten, die heutzutage sehr niedrig sind, ein Umstand, der Selbstverlage attraktiv macht, wären die Kosten für das Lektorat und das Layout immens. Weit kostspieliger sind die Nerven, die Lektoren, Verleger und der Autor verschleißen, wenn sie über jeden Satz verhandeln müssten.
 
Frieder ist ein kluger Mann. Ein empathischer dazu. Er erkannte meine Frage auf Anhieb. Dass er darüber hinaus eitle Befindlichkeiten zurückstellen kann, erleichterte mein Anliegen. “Weißt du”, sagte er zu mir ohne Umwege, “es gibt drei Wege, mein Buch zu lesen.”

Drei Möglichkeiten, eintausend Seiten zu lesen

Die erste Möglichkeit ist einfach: vorn anfangen und bis zum Ende durchhalten. “Eine zweite Möglichkeit ist, dich nach den Orten und Etappen zu orientieren, die dich interessieren”, erklärte Frieder. Auf seiner Reise nach Jerusalem legte er an 181 Tagen über 6.200 Kilometer zurück. Dabei durchquerte er zu Fuß zwölf Länder – in Aachen beginnend, über Belgrad in Serbien oder Konya in der Türkei bis eben nach Jerusalem.
 
“Die dritte Möglichkeit bietet das ‘Wort des Tages’.” Die Worte dachte er sich nicht aus, sondern ließ sie auf sich zukommen. “Nicht ich entdeckte die Worte, sondern sie mich.” Ereignisse, Erinnerungen, Beobachtungen, Erlebnisse oder Begegnungen, die für den einen Tag besonders waren, wurden zu seinem Wort des Tages. Im Buch wurden sie zu einem Glied des Stichwortverzeichnisses, das am Ende jeder seiner Bände übersichtlich dargestellt ist.

Von Toleranz und Respekt zum Vater

Ich musste es sofort ausprobieren. Ich wühlte durch diese Worte. Dabei suchten meine Augen nach einer Ordnung, meine Neugier hingegen nach einer seismischen Regung. Es waren zu viele Eindrücke. Doch dann kam ich auf eine Idee: Welches war sein erstes Wort, und welches sein Letztes? Was war am Anfang seiner Reise und was am Ende? Frieder begann seine Reise mit “Toleranz, Respekt, Kommunikation” und hörte mit “Vater” auf.
 
In Frieders Buch stapeln sich mehrere Ebenen aufeinander: eine äußere Reise über Straßen und Pfade, eine innere Reise mit Erinnerungen und persönlichen Auseinandersetzungen. Ein Geschichtsbuch, eine moralphilosophische Abhandlung, ein religiöser Lobgesang und nicht zuletzt ein Almanach der Zukunftswünsche. Es wirkt fast so, dass die 6.200 Kilometer, die Frieder auf seiner Reise zurücklegte, ein Leben war, das er noch einmal zu Fuß durchschritt.

Produkt der Moderne

Das Leben eines Sohns, eines Vaters, eines Ehemanns, eines Musikers und Komponisten, eines Geschäftsmannes. Eines Mannes eben, der einerseits wie viele Professionals das Produkt der Moderne wurde, andererseits wegen seiner Begabungen und Talente nie bereit war, ein passives Ich zu akzeptieren, sondern sich selbst zu formen.
 
Wie bei seiner Entscheidung, eine Reise anzutreten, die für ihn 181 Tage dauerte und von seiner Leserschaft 40 Stunden Lebenszeit einfordert. Aber was sind 40 Stunden, wenn man als Gegenleistung den Erfahrungsschatz eines Lebens bekommt, das bereits auf über 65 Jahre zurückblickt? (futureorg/signals/Fotos: https://www.ankesundermeier.de/ & Frieder C. Löhrer.)
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Herausgeber ist das futureorg Institut – Forschung und Kommunikation für KMU mit Sitz in Dortmund/NRW.

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