Fleißig wie eine Biene: Erfahrungen, die wertvoller sind als Geld?

Wer kennt sie nicht, die fleißige Arbeitsbiene? Sie arbeitet hart, verrichtet unzählige Tätigkeiten, und schläft nie. Das Faszinierende an diesem kleinen Superhelden: sie erfüllt diese Aufgaben instinktiv, ohne diese Tätigkeiten vorher gelernt zu haben. Und genauso würde ich auch Ali Haidar beschreiben. Ein Mann, hinter dem sich jahrelange Aufopferung verbirgt, um sich selbst und seiner Familie ein gutes Leben im zerfallenden Libanon zu bieten.

Der Bienenstock: Ein komplexer Aufbauprozess

2020 gründete Ali Haidar sein Startup-Unternehmen. Diesen Bienenstock begann er jedoch schon Jahre vorher, Stück für Stück, oder besser Wabe für Wabe, aufzubauen. Sein Baustoff: Ganz. Viel. Leistung. Verbunden mit ganz viel Zeit. Solch ein komplexes Gebilde errichtet sich schließlich nicht über Nacht. Die ersten Fundamente wurden schon während seines Studiums gelegt.
 
An der American University of Science and Technology (AUST) in Beirut begann er seine Hochschullaufbahn im Bereich Computer & Communications Engineering. Kurze Zeit später tauchte er dann zum ersten Mal in die Welt des Programmierens ein – und wurde wie durch Monsterwellen in dessen Tiefen gerissen. Lange Rede, kurzer Sinn: er wechselte seinen Studiengang zu Computer Science und blühte darin so richtig auf. Das im Studium obligatorische Praktikum öffnete ihm dann die erste Tür in den Arbeitsmarkt: Die fleißige Biene war geboren.

Wenn die Zeit reif ist…

Aus dem ursprünglich dreimonatigen Praktikum wurde dann fast ein ganzes Jahr. Unentgeltlich, wohlgemerkt. Was hat ihn dazu getrieben? “Mein Ziel war es, so viele Erfahrungen und Fähigkeiten wie möglich zu sammeln. Deshalb habe ich auch das fehlende Gehalt in Kauf genommen. Ich hatte die weitsichtige Auffassung, dass diese Erfahrungen viel wertvoller sind als Geld. Außerdem konnte ich meine Arbeitszeiten flexibel gestalten, was vor allem während meines Studiums von Vorteil war”, erklärt Ali Haidar.
 
Das Ergebnis dieser Mentalität lässt sich heute mit eigenen Augen bestaunen. “Das Geld wird zweifellos später kommen, wenn die Zeit reif ist.” In diesem Sinne ermahnt er die aufstrebenden Talente dieser Branche, stets nach mehr Wissen zu trachten.

Zeit, sich vom Job zu verabschieden

Während seiner ersten beruflichen Erfahrung, lernte der Web-Developer eine wertvolle Lektion: Sobald er bei einer Arbeitsstelle nichts Neues mehr dazu lernen kann, ist es Zeit sich davon zu verabschieden. Und eine Stelle zu finden, in der er sich beruflich weiterentwickeln kann. Diese Erfahrung hat er oft genug gemacht. Ging von einer Arbeitsstelle zur anderen. Wurde von an ihm interessierten Arbeitgebern umschwärmt. Und erwarb Fähigkeiten, die ihn nun als guten CEO auszeichnen.
 
Der frische Alumnus landete so als Web-Developer bei verschiedenen Marketingagenturen, die ihm die Verantwortung für viel mehr als nur dieser Stelle zuschrieben. Er wurde von seinen Vorgesetzten in wichtige Meetings gerufen, lernte von ihnen geeignetes Personal einzustellen, erforschte die Tiefen des Marketings und des technischen Vertriebs. Und obwohl ihm die Jahre an Berufserfahrung fehlten, die andere nachweisen konnten, landete er so immer in einer Führungsposition.
 
Es dauerte nicht lang, bis er selbst Kunden einbrachte, ihre Anforderungen entnahm, den Wert der Produkte bestimmte und ihnen Verkaufsangebote stellte. “Ich gelangte an einen Punkt, an dem ich Leuten mit mehr Berufserfahrung etwas beibrachte. Da merkt man, dass es irrelevant ist, wie lange man schon den Beruf ausübt. Es sind die Charaktereigenschaften, die einem im Beruf zum Erfolg verhelfen – Ich lerne gerne, ich lerne viel. Und auch Dinge, die nichts direkt mit meinem Beruf zu tun haben. So konnte ich auch immer meine Vorgesetzten überzeugen.”

Die fleißige Biene und ihre unzähligen Tätigkeiten

Genau aus diesem Grund, nutzte er auch seine Freizeit, um mehr Fähigkeiten zu erbeuten. Wie eine Biene, die stets nach Pollen und Nektar Ausschau hält. Diese erworbenen Fähigkeiten übertrug er auch auf Freelance-Aufträge, die er seit Ende seines Studiums immer wieder ausführte. “Am Anfang waren es Bekannte, die mich beauftragten. Doch durch ihre Weiterempfehlung wuchs schließlich meine Klientel immer mehr”, offenbarte Ali Haidar.
 
“Gleichzeitig bekam ich sehr viele neue Jobangebote. Vor allem im Ausland – Europa, Amerika, Asien, alles war dabei. Die Vergütung wäre super gewesen. Doch ich wollte nicht auswandern. Und remote Jobs gab es vor Corona noch nicht wirklich.” Doch wieso nicht eine solche Chance ergreifen, wenn bekanntermaßen die ökonomische und politische Situation des Libanon zum Scheitern verurteilt ist?
 
Warum sollte ich mein Land, meine Familie und Kultur ohne validen Grund verlassen?”, entgegnet er. Das libanesische Volk ist resilient, es lernte schon vor langer Zeit, mit Krisen umzugehen und nicht aufzugeben. Ihr Nest verlassen sie am liebsten nur dann, wenn es keine andere Wahl gibt. “Solange es uns hier noch gut geht, ziehe ich es vor hierzubleiben und fürs Vergnügen zu reisen”, fügt er hinzu.

Die logische Konsequenz

Umso motivierter ist er, sich im Libanon ein gutes Leben zu erarbeiten. 
Die einzig logische Konsequenz, die Ali Haidar aus dem Bedürfnis nach Sicherheit, den steigenden Freelance-Aufträgen und der sinkenden Wertschätzung als Angestellter, ziehen konnte, ist sich eigenständig zu machen. Das Eintauchen in verschiedene Unternehmensbereiche rüstete ihn mit dem nötigen Know-how aus und bereitete den Boden für den Schritt in Richtung Unabhängigkeit.
 
Um diesen Traum zu verwirklichen, widmete er sich also nun uneingeschränkt der Planung seiner Start-Up-Idee – kündigte seinen Job und erfüllte demnächst nur eigene Aufträge. Die Umsetzung wurde jedoch durch Libanons Oktober 2019 Proteste, einer Krise, wodurch viele Prozesse im Land zwanghaft gestoppt wurden, erst mal aufs Eis gelegt. Diese Bewegung, die im Land “Thawra” also “Revolution” genannt wird, war die zwischenzeitliche Hoffnung tausender Libanesen auf ein Ende des dysfunktionalen Politiksystems. Doch der politische Wandel blieb aus, die Situation wurde schlimmer. Dann folgte Corona, die zwar vielen Branchen die Zukunft verbaute, dem IT-Markt jedoch neue Welten öffnete: “Aufgrund der Coronaeinschränkungen, war jeder Betrieb, der überleben wollte, auf eine digitale Präsenz angewiesen. Und hier kommen wir Web-Developer ins Spiel. Unser Geschäft boomte.”

Qualitätssteigerung durch Technologien?

Und so entstand 2020 Codeloops. Ein Softwareentwicklungs-Unternehmen, das verspricht, das Qualitätsniveau seiner Kunden anzuheben. Wie? “Abhängig von der Industrie, weiß nicht jeder, welcher technologische Service seinem Business fehlt. Wir haben die richtigen Tools, um dies zu entziffern.” Dabei kann es sich um ein altes Unternehmen handeln, das mit der Technologierevolution noch zu kämpfen hat. Aber auch um Unternehmer, die zwar wissen, was ihnen fehlt, jedoch mit den falschen Leuten zusammen arbeiten und deshalb nicht umsetzen können. “Da kommen wir ins Spiel. Wir entdecken ihr Problem, und lösen es, in dem wir Technologien einbringen, die den Arbeitsalltag erleichtern und verbessern. Auch Value Added Services & Technology (VAST) genannt”, erläutert Ali Haidar.
 
Das Unternehmen, das gemeinsam mit Ali Haidar, aus anfangs drei Mitarbeiter bestand, traf mit ihrem Angebot auf Erfolg. Und schaffte es so zu wachsen. Das Team setzt sich mittlerweile aus Professionellen verschiedener Bereiche zusammen: Grafik Designer, Marketing Experten, Web Developer. Jeder hat gewisse Aufgaben und so kann Codeloops verschiedene Services anbieten. Website-Entwicklung, Mobile Applications, E-Commerce-Lösungen, Suchmaschinenoptimierung und digitales Marketing. “Durch meine vorige Arbeitserfahrung, habe ich auch gelernt rauszufiltern, welche Aufträge oder Kunden ich annehmen sollte und welche nicht. Man weiß dann, hier würde ich ein Projekt für jemanden machen, der mir zwar weniger zahlen kann, als das Projekt eigentlich wert ist. Gewinne jedoch einen langfristigen Partner, der mir später immer wieder Erfolg versprechende Projekte einbringen wird.”

Leute mit Vision

Doch das gilt nur für handverlesene Leute. “Es gibt viele, die mit einer grundlegenden Idee und viel Geld, um diese umzusetzen, ankommen. Doch es fehlt ihnen ein ausgeklügelter Plan, wodurch die Erfolgschancen sehr gering werden. Mit solchen Leuten kann ich nicht kooperieren.” Gleichzeitig gibt es aber auch Visionäre, die die richtige Einstellung haben, um ihre Idee umzusetzen. Sie wissen, welche Tools sie dafür brauchen. Ihnen fehlt einfach nur das nötige Kapital. “Ich hatte einmal eine Zusammenarbeit mit einem Start-up-Unternehmen aus der Gaming-Branche. Sie brauchten jemanden, der ein Minimum Viable Product (MVP), für sie erstellt, um ihre Idee bei Investoren zu präsentieren. Ich war bereit, das für sie zu erstellen, auch wenn sie mir nicht den üblichen Preis dafür zahlen konnten. Ich erkannte ihr Potenzial anhand ihrer großartigen Präsentation. Und ich hatte recht, denn heute sind sie in ihrer Branche anerkannt”, fügt er hinzu.
 
Es sind diejenigen, die genauso wie Ali Haidar bereit sind, Nächte durchzumachen, bis zum Morgengrauen zu arbeiten und das Büro zur Nisthöhle zu machen. “Jeder, der mit mir arbeiten will, muss bereit sein, sich genauso für sein Unternehmen aufzuopfern.” In Zukunft will er jedoch keine Aufträge mehr annehmen, wo er die meisten Kosten tragen muss. “Dann einigen wir uns darauf, dass wenn sie nur die Hälfte zahlen, ich die andere Hälfte als Aktienkapital in der Firma bekommen. Sodass wir keine Verluste mehr machen und wichtige Meilensteine erreichen können.”

Mit Ausblick auf die großen Haie

“In der Vergangenheit konnte ich einige gesteckte Ziele nicht so schnell erreichen, wie ich es mir gewünscht hätte.” Das liege unter anderem an der Lage des Landes, der Welt und auch an finanziellen Hürden, erklärt der CEO. “Einige Investitionen waren nicht möglich, weil es einfach andere Prioritäten gab. Dazu gehören Reisen und die Teilnahme an weltweit anerkannten Konferenzen.” – Die Hubs der großen Unternehmen. Der Ort, um neue Leute zu treffen, PR-Arbeit zu betreiben und neue Kooperationen zu schmieden. “Für einige dieser Kontakte, die ich vor Jahren geknüpft habe, arbeite ich jetzt an Projekten. Manchmal sieht man die Ergebnisse nicht sofort, aber auf lange Sicht bringt es Vorteile”, sagt er stolz.
 
Für die Zukunft erhofft sich Ali Haidar, Regierungsverträge zu erringen. “Wir streben an, eine staatliche Plattform zu übernehmen. Etwa für ein Telekommunikationsunternehmen. Die großen Haie sozusagen.” Für sein Unternehmen würde es vor allem eins bedeuten: Sie würden keine kleinen Aufträge mehr annehmen, und auch keine digital Marketing-Kunden, sondern sich nur noch auf den Softwarebereich konzentrieren: “Unsere Marketingabteilung würde sich dann lediglich um das firmeneigene Branding kümmern. Wir würden also aufhören, eine Digitalagentur zu sein und stattdessen anfangen, als reines VAST-Unternehmen zu dienen.” Für Ali Haidar würde es damit aufhören, sich um Tausende Aufgaben zu kümmern: “Mit genügend Mitarbeitern kann ich die verschiedenen Aufgaben delegieren und mich dann allein auf den technischen Vertrieb konzentrieren.”
 
Wenn Ali Haidar sein bisheriges Wirken resümiert, wird deutlich, dass er nicht nur eine Vision hat, sondern auch weiß, wie man sie umsetzt. “Geduld und harte Arbeit sind der Weg zum Ziel”, sagt er. Gibt es einen geeigneteren Beweis dafür, dass er fleißig wie eine Biene ist? (signals/futureorg)
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Herausgeber ist das futureorg Institut – Forschung und Kommunikation für KMU mit Sitz in Dortmund/NRW.

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