Cancel Culture: Ein endgültiges Urteil für Unternehmen?

Eine Gruppe von Menschen versammelt sich, insbesondere in den sozialen Medien, und hetzt gegen einzelne Personen oder ein ganzes Unternehmen. Cancel Culture – sie beschädigt die Reputation. Aber ist dies ein wirksames Mittel, um Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen, oder ist es eine Bestrafung ohne Gewähr für Entlastung?

Das Schlagwort Cancel Culture, übersetzt Zensurkultur, steht in der Debatte um politische Korrektheit. Eine Debatte, die seit den 1990er-Jahren immer wieder neu entfacht wird. Es geht um soziale Gerechtigkeit, Meinungs- und Redefreiheit, Zensur oder Framing. Die einen befürworten es. Die anderen beklagen sich darüber. Sie besteht darin, öffentlich gegen eine Person oder eine Institution Stellung zu beziehen, deren Handlungen oder Aussagen als anstößig, beleidigend, oder diskriminierend empfunden werden.

Moralische Gewissheit?

Die Zeitschrift “Harper’s Magazine” veröffentlichte im Jahr 2020 einen Brief A Letter on Justice and Open Debate“. Eine Kritik zur Cancel Culture. Ohne diese jedoch direkt zu benennen. Sie äußern sich dazu wie folgt: (übersetzt) “Während wir dies von der radikalen Rechten erwarten, breitet sich die Zensur in unserer Kultur auch weiter aus: Intoleranz gegenüber gegenteiligen Ansichten, eine Vorliebe für öffentliche Beschämung und Ächtung sowie die Tendenz, komplexe politische Fragen in einer blendenden moralischen Gewissheit aufzulösen.”
 
Der Brief wurde ursprünglich von 153 angesehenen und berühmten Persönlichkeiten unterzeichnet. Darunter war auch J.K. Rowling, die kurz darauf wegen ihrer als transphob empfundenen Äußerungen selbst zum Opfer der Cancel Culture wurde. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass der Brief auf enorme Kritik stieß. Die “Rufe nach rascher und strenger Bestrafung als Reaktion auf wahrgenommene Übertretungen in Wort und Gedanken” (übersetzt), fürchteten die Prominenten nicht aus Sorge um irgendeinen Menschen, der wegen seines unangemessenen Verhaltens seinen Job verlieren könnte. Sondern aus egozentrischer Sorge um ihren eigenen Ruf oder den der ihnen Nahestehenden. Anstatt ihr eigenes Handeln zu hinterfragen. Sie fürchten zum Schweigen gebracht zu werden, während sie eine gesamte Plattform zur Verfügung gestellt bekamen, um ihre Meinung zu äußern.

Ausarten in Extreme

Das Problem der Cancel Culture scheint das Ausarten in Extreme zu sein. Menschen prangern Personen oder Unternehmen zu Recht, aber auch zu Unrecht an. Nicht selten wird es zu einer Art Pöbelherrschaft, bei der das Recht auf Zensur missbraucht wird. Prof. Dr. Oliver Wendel, Professor für Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsethik, Informationsethik und Maschinenethik, erklärte in einem Beitrag für das Gabler Wirtschaftslexikon seine Kritik: “Ein Problem der einzelnen Angriffe ist, dass sie sich nicht nur gegen Meinungen und Haltungen, sondern vor allem gegen Personen richten (häufig gegen offensichtliche Rechtsgerichtete, vermeintliche Übergriffige oder das Feindbild des alten, weißen Mannes).” Und: “Die Angegriffenen werden oftmals zurecht getadelt, zuweilen aber ungerecht behandelt.” 
 
Genau deswegen schaut die Regierung Singapurs nach Wegen, ein Gesetz in Kraft setzen, das Cancel Culture verhindert. “Die Menschen sollten ihre Meinung frei äußern können, ohne befürchten zu müssen, angegriffen zu werden – von beiden Seiten. Wir planen also, etwas dagegen zu unternehmen”, sagte Justizminister K Shanmugam. Rechtsaktivisten fürchten die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung. Immerhin gibt es genug, die Cancel Culture nicht missbrauchen, sondern als wichtiges Mittel für soziale Gerechtigkeit nutzen, um auch Mächtige und Reiche, die sonst leichter mit Fehlverhalten davon kommen, zur Rechenschaft zu ziehen.

Todesurteil für Unternehmen?

In Deutschland ist der häufigste Grund für das Canceln eines Unternehmens die Tierquälerei. Statista berichtet: Es “würden rund 55 Prozent der über 1.500 Befragten eine Firma deshalb boykottieren. Umweltschädigung (44 Prozent), Korruption und Betrug (42 Prozent) und der Verkauf gesundheitsschädlicher Produkte (40 Prozent) sind für etwa zwei Fünftel ein triftiger Grund für den Ausschluss der betroffenen Marken. Die Misshandlung von Personen im Sinne von Rassismus (34 Prozent), ungerechten Arbeitsverhältnissen (34 Prozent) und Sexismus (30 Prozent) würden immerhin etwa ein Drittel der Umfrageteilnehmer:innen dazu bewegen ein Unternehmen zu “canceln”.”
 
So wurde etwa der bekannte Lebensmittelhersteller Uncle Ben’s von Rassismusvorwürfen heimgesucht. Während für einige Cancel Culture zu einem Todesurteil wird, beherzigen andere die Kritik an ihrem Unternehmen und nehmen Änderungen vor, bevor es zu spät ist. So änderte Uncle Ben’s seinen Namen in Ben’s Original und ließ das Logo eines älteren afroamerikanischen Mannes mit Fliege fallen. Die Rassismusvorwürfe schwanden daraufhin. (futureorg/signals)
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Herausgeber ist das futureorg Institut – Forschung und Kommunikation für KMU mit Sitz in Dortmund/NRW.

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