Der Jemen: “Seine Schönheit kommt vom Volk”

“Wir Jemeniten verfügen über nicht so viele Zertifikate wie Führungskräfte in Europa. Aber wir haben ein Leben voller Abenteuer und Erfahrungen.” – Die Geschichte von Naif Al Najm zeigt, wie mitten eines “hässlichen” Krieges Unternehmertum gelebt wird.

“Jemen ist seit Langem eines der ärmsten Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA) und befindet sich derzeit in einer der schlimmsten humanitären Krisen der Welt. Die seit Anfang 2015 tobenden Kämpfe haben die Wirtschaft des Landes zerstört, zu einer gravierenden Ernährungsunsicherheit geführt und wichtige Infrastrukturen vernichtet”, schreibt die Weltbank auf ihrer Website deutlich.
 
Berater für Unternehmensentwicklung Naif Al Najm ist sich der Notsituation nicht nur bewusst. Er erlebt als jemenitischer Bürger – laut der UN – die größte humanitäre Katastrophe der Welt aus erster Hand. “21,6 Millionen Menschen im Jemen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.” Der leitende Unternehmensentwickler widmet sich dessen entsprechend mit ganzem Herzen. Als Präsident und Gründer mehrerer lokaler zivilgesellschaftlicher Organisationen wie NWF, sowie als ehrenamtlicher Teamleiter bei UN Volunteers und INTERSOS, versuchte er nicht nur Leiden zu lindern. Er sammelte tiefgründige Erfahrungen, die seinen Charakter und sein Berufsleben prägten und stärkten.

Früh auf diesen Pfad geführt

Seit 2015 leiden die Menschen im Jemen unter dem Bürgerkrieg. Seit 2016 ist Naif Al Najm als humanitärer Helfer im Einsatz. Und versucht, Tausende Menschen, die Nahrung, Wasser, Unterkunft und Medizin benötigen, zu begleiten. Denn als wäre der Krieg nicht genug, gibt es im Land regelmäßig Ausbrüche von Cholera, Diphtherie, Masern und andere durch Impfung vermeidbare Krankheiten. Zuletzt kam auch noch die Coronapandemie hinzu. Angesichts des hohen Notstands hält Naif Al Najm es für umso wichtiger, den Menschen vor Ort zu dabei helfen, die Folgen des Konflikts zu bewältigen und sich zu rehabilitieren. “Ich bin überzeugt, dass jeder, der in der Verfassung ist, zu helfen, dies tun sollte. Wir müssen an einem Strang ziehen, damit sich das Land positiv entwickeln kann.”
 
Seine soziale Ader kommt doch nicht von jeher. “Meine ersten Schritte in Richtung humanitäre Arbeit habe ich meiner Mutter zu verdanken. Sie hat mich immer mit ihrer Hilfsbereitschaft und ihrem menschlichen Wesen fasziniert. Das hat mich auf persönlicher Ebene stark beeinflusst.” Die Präsenz inmitten eines Krieges, das Leiden, das man vor Augen hat, tat ihr Übriges. Er wird gezwungen, stark zu sein. “Durch meinen humanitären Einsatz lernte ich vieles: Geduld zu zeigen, weil man nicht gleich die Resultate sehen kann, die man sich wünscht. Verantwortung zu übernehmen, da es um Menschenleben geht. Keine Angst zu haben, weil man sich immer inmitten von Konflikten findet, von Leuten mit Waffen angehalten und ständig kontrolliert wird. Man lernt Risiken einzugehen, weil man ein bestimmtes Ziel vor Augen hat: Das Wohl des Volkes.”

Manche gedeihen, manche verderben

Wenig wusste er, dass seine Hilfsbereitschaft ihm später neue Türen im Berufsleben öffnen würde. “In diesem Bereich knüpft man viele Kontakte. Man ist darauf angewiesen – anders können wir die Mittel, die wir für die Menschen in Not benötigen, nicht allein auftreiben. Diese Menschen, die man trifft und die einem ihre Hilfe dann anbieten, bringen dich dann mit weiteren Menschen zusammen, von denen man in vielerlei Hinsicht profitieren kann.” Es wundert nicht, dass er dadurch auch entscheidende Kontakte zu internationalen Konzernen knüpfte.
 
Es führte eines zum anderen. Ein Schritt in Richtung Business, und man wird wie von Wellen den Rest des Weges fortgetragen. Auf ein Mal fand sich der gelernte Grafikdesigner als helfende Kraft in jenen Konzernen wieder. Später war er Teil der Verwaltung. Erlebte, wie einige Unternehmen aufblühten, während andere untergingen. Die Erfahrung in einem völlig neuen Berufszweig verschaffte ihm ein solides betriebswirtschaftliches Fachwissen. In Kombination mit den Herausforderungen der gemeinnützigen Arbeit war er nun bereit, sich allem zu stellen und wusste, wie.

Immer ein offenes Ohr

Dank der Erfahrungen, die er bei der Begleitung jeglicher Unternehmen gesammelt hat, verfügt er über das nötige Know-how, um andere Unternehmen zu unterstützen und sie vor Misserfolg zu bewahren. “Ein grundlegendes Problem in jemenitischen Unternehmen ist der Mangel an Kommunikation und Zusammenarbeit”. Also gründete er sein eigenes Start-up: Greenwall. Eine Beratungsfirma, die Management- und Finanzberatungsdienste anbietet. Sodass er Unternehmer:innen helfen kann, diese und andere Fehler zu vermeiden. Mit seinem Führungsstil ging er mit gutem Beispiel voran: “Unabhängig davon, wie klein mein Unternehmen ist, war es mir immer wichtig, für jeden ein offenes Ohr zu haben. Egal in welcher Position er arbeitet. Oder in welchem Unternehmen.”
 
Auf diese Weise, so der Unternehmer, werde man empfänglich für Ideen, die zur Weiterentwicklung des Unternehmens beitragen können. “Nicht nur mein Unternehmen profitiert von der Zusammenarbeit, sondern auch die Mitwirkenden. Denn sie gewinnen diese Erfahrungen als eine besondere Kompetenz, die sie später in ihrem eigenen Unternehmen anwenden könnten.” Denn tatsächlich ist Al Najm jemand, der sich dafür einsetzt, dass jeder seinen eigenen Traum verwirklichen kann. Auch wenn das bedeutet, dass er dafür einen seiner Angestellten opfern muss. “Jeder Erfolg eines anderen ist auch ein Erfolg für mich.”

Keine geeignete Ausgangslage

Unternehmen im Jemen stoßen jedoch schon mit der Realisierung von Zielen, die im Westen etwa selbstverständlich sind, auf Schwierigkeiten. “Das Land bietet keine geeignete Ausgangsposition für Unternehmen. Vor allem Start-ups haben es schwer.” Von fehlenden Rechtsvorschriften oder Hilfsdiensten für Start-ups bis zum Mangel an Strom und Internet fehlt es an geeigneten Ressourcen, um zu existieren. Diese Aspekte machen es umso schwieriger, in der Bevölkerung Vertrauen in moderne Methoden zu entwickeln. “Wir haben nicht einmal Online-Zahlungsmethoden, die in anderen Ländern gängig sind. Das macht das Geschäft, vor allem international, enorm schwierig”, erklärt der Businessexperte.
 
Al Najm setzt sich daher für den Übergang zur Digitalisierung ein. “Wir fangen mit kleinen Schritten an. Zunächst einmal weg vom traditionellen Papier und Stift. Hin zu modernen Systemen, die die Organisation des Unternehmens vereinfachen. Danach werden wir sehen, was passiert. Unter den gegebenen Umständen ist selbst dieser kleine Ansatz ein langwieriger Prozess.” Um im Jemen zu bestehen, bedarf es viel Zeit, Geduld und Zielorientierung. Dies sind die Stärken von Naif Al Najm. “Probleme lösen, Menschen verstehen, organisieren und nicht so schnell aufgeben – das sind alles Dinge, die ich in der humanitären Arbeit gelernt habe und nun anderen beibringe.”

Sie beweisen Stärke und Einigkeit

“Wir Jemeniten verfügen über nicht so viele Zertifikate wie Führungskräfte in Europa. Aber wir haben ein Leben voller Abenteuer und Erfahrungen, die uns stärken und uns für unser Berufsleben qualifizieren”, erklärt Naif Al Najm. Wer im Jemen den Durchbruch schafft, wer im Jemen ein erfolgreiches Unternehmen aufbaut, verfüge über Fähigkeiten auf einem ganz anderen Niveau. “Auf dem Weg zum Erfolg mussten wir so viele Herausforderungen meistern, die man in anderen Ländern – unter friedlichen Bedingungen – nie hätte bewältigen müssen. Wenn man im Jemen Erfolg hat, kann man überall Erfolg haben. Denn im Vergleich dazu erscheint alles andere geradezu einfach.”
 
Trotz der schweren Zeiten im Jemen und der hässlichen Taten, die hier begangen werden, bleibt der Jemen schön. Seine Schönheit kommt vom jemenitischen Volk […] Die Jemeniten zeigen weiterhin Entschlossenheit, diese harten Zeiten zu überstehen, und beweisen Stärke und Einigkeit“, (Übersetzung). Diese Werte werden von Naif Al Najm eindrucksvoll dargestellt. Ein widerstandsfähiges, hilfsbereites Volk, das darum bemüht ist, einander zu helfen und sich zu verbessern. (Weltbank/UN/futureorg/signals)
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