- 19. Juli 2021
- Die Trendbeobachter
Die Zukunft des deutschen Mittelstandes: Die 10 Punkte für eine mittelstandsorientierte Post-Corona-Agenda
Noch befindet sich Deutschland in der Corona-Krise. Dies hatte und hat für viele mittelständische Unternehmen massive ökonomische Konsequenzen. Dabei ist gerade der Mittelstand das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Mit einem 10-Punkte-Plan möchte der BVMW die Debatte rund um seine Zukunftsfragen anregen.
Die Zukunftsdebatte muss nun gestartet werden
Das Ziel: Nachhaltige undustrielle Produktion und Energieversorgung
Marlies Staudt
Leiterin der Wirtschaftsregion Südwestfalen des BVMW
Der Zehn-Punkte-Plan des BVMW:
Die zehn Vorderungen des BVMW im Überblick
Das kommende Jahrzehnt wird zum tiefgreifendsten Strukturwandel der deutschen Wirtschaft seit der Wiedervereinigung führen. Treiber dieser Entwicklung werden die Digitalisierung, die Dekarbonisierung und der demographische Wandel sein. Zur Bewältigung der Transformationsnotwendigkeiten und Herausforderungen brauchen wir ein intelligentes Zusammenspiel von Staat und Unternehmen. Deshalb fordern wir die Einrichtung eines Transformationsfonds, der Unternehmen im Bereich der Dekarbonisierung und Digitalisierung sowie der Qualifizierung ihrer Beschäftigten unterstützt. Viele mittelständische Unternehmen sind in der Corona-Krise massiv in Liquiditätsprobleme geraten und mussten zur Existenzsicherung auf ihr Eigenkapital zurückgreifen und dieses zum Teil komplett aufzehren. Dies ist eine schwere Hypothek für die Zukunft dieser Unternehmen. Denn ohne Eigenkapital sind notwendige Modernisierungs- und Innovationsinvestitionen kaum noch möglich, und es erschwert, um nicht zu sagen es macht ihnen unmöglich, Kredite von Banken für solche Zukunftsinvestitionen zu erhalten. Vielen Mittelständlern droht eine Kreditklemme. Von daher ist es entscheidend, dass das Eigenkapital dieser mittelständischen Unternehmen durch gezielte staatliche Maßnahmen unterstützt wird, damit ihre Kreditwürdigkeit gesichert und ihre Modernisierungs- und Investitionskraft erhalten bleibt. Deshalb fordern wir die Einrichtung eines staatlichen Eigenkapitalfonds in angemessener Höhe, um die Existenz und die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen zu sichern. Dieser Fonds muss möglichst unternehmensfreundlich und bürokratiearm konzipiert werden. Dazu sollte der Sachverstand der mittelständischen Unternehmen von vornherein in die Planung und Strukturierung des Fonds einbezogen werden. Der gesamtwirtschaftlichen Verantwortung einer nachhaltigen Eigenkapitalausstattung hat auch der Steuergesetzgeber Rechnung zu tragen. Der BVMW fordert daher, dass der steuerlichen Ungleichbehandlung von Fremdkapital und Eigenkapital durch die Einführung einer steuerlich absetzbaren fiktiven Eigenkapitalverzinsung ein Ende gesetzt wird.
Die Digitalisierung wird die Arbeitswelt in den nächsten Jahren massiv verändern. Die Flexibilitätsanforderungen an Unternehmen und die Beschäftigten werden in der Folge deutlich zunehmen. Was wir in der Pandemie als Boom des Home-Office erlebt haben, ist dabei nur ein kleiner erster Vorgeschmack. Notwendig sind neue Flexibilitätskonsense zwischen Unternehmen, Beschäftigten und Gewerkschaften. Wir brauchen ein atmendes Arbeitszeitregime, das sowohl Unternehmen wie Beschäftigten mehr Freiräume schafft, ohne eine der beiden Seiten zu überfordern. Jährliche Arbeitszeitkonten statt wöchentliche Höchstarbeitszeiten könnten dazu einen wichtigen Beitrag leisten und sollten daher vom Gesetzgeber gefördert werden.
Deutschland ist Weltmeister bei der Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Die Genehmigung von Windrädern dauert heute 60 Monate, die Genehmigung von Infrastruktur- und Großprojekten verzögern sich durch immer neue gerichtliche Überprüfungen und Auseinandersetzungen und die Ausweitung von Klagerechten teilweise um Jahrzehnte. Wenn Deutschland wieder moderner, flexibler und wettbewerbsfähiger werden will, müssen die Planungs- und Genehmigungsverfahren drastisch verkürzt werden. Klagewege und Klagemöglichkeiten müssen reduziert, die öffentlichen Genehmigungsbehörden personell aufgestockt, private und öffentliche Planungskapazitäten erweitert und Standards angepasst werden. Der BVMW fordert ein Planungs- und Genehmigungsbeschleunigungsgesetz.
Die Schließung zahlreicher Betriebe während der Corona-Pandemie führte bei vielen Unternehmen zu Liquiditätsproblemen und Existenzsorgen. Um die wirtschaftlichen Auswirkungen zu entschärfen, hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr damit begonnen, die Insolvenzantragspflicht auszusetzen und die Aussetzung dann stetig weiter verlängert, wenn auch mit immer neuen Voraussetzungen und Detailbestimmungen. Der deutliche Rückgang der eröffneten Unternehmensinsolvenzen während der Corona-Pandemie bildet keineswegs die tatsächliche wirtschaftliche Lage ab. Die staatlichen Hilfen haben durchaus einen Beitrag zur Stabilisierung geleistet. Es darf allerdings nicht zu einer Zombifizierung unserer Wirtschaft kommen, wirtschaftlich nicht überlebensfähige Unternehmen sollten nicht künstlich am Leben gehalten werden. Der BVMW fordert den Gesetzgeber auf, die Instrumente zur Stützung der von der Corona-Pandemie betroffenen Unternehmen nur soweit einzusetzen, wie dies für den einzelnen erforderlich ist und dabei die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die mittelständische Wirtschaft in ihrer Gesamtheit zu wahren. Der BVMW fordert den Gesetzgeber auf, Klarheit über die Insolvenzantragspflichten und insolvenzrechtliche Planungssicherheit zu schaffen.
Der einheitliche Binnenmarkt ist ein wichtiger Standortvorteil für die Unternehmen in Europa, insbesondere für KMU. Diesen einheitlichen europäischen Binnenmarkt weiterzuentwickeln und zu modernisieren, ist für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit von entscheidender Bedeutung. Dazu brauchen wir faire und marktorientierte Wettbewerbs- und Beihilferegeln. Dafür ist eine Reform des europäischen Beihilfe- und Wettbewerbsrechts von entscheidender Bedeutung. Im Bereich des Wettbewerbsrechts müssen stärker globale Kriterien und Wettbewerber für europäische Unternehmen, z.B. bei Fusionen berücksichtigt werden. Im Beihilferecht müssen die Vergabekriterien entbürokratisiert, die Möglichkeit für hochskalierte Investitionen eröffnet und Kumulationsverbote angepasst werden. Nur so kann es gelingen, die Voraussetzungen für die digitale und klimafreundliche Transformation der europäischen Wirtschaft in den nächsten Jahren zu schaffen. Das Wettbewerbs- und Beihilferecht muss so angepasst werden, dass wettbewerbsfähige Unternehmen neu entstehen sowie bestehende erhalten und fit für die Zukunft gemacht werden, statt dies zu blockieren.